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Im Spannungsfeld zwischen Leseleidenschaft und persönlichen Idealen: Ein Interview zu BookToks Frauen- und Beziehungsbildern

Teil 2 I ein Gastartikel von Paula Süß

Das folgende Interview ist der zweite Teil zum Blogeintrag „Herzklopfen und Klischees: Frauen- und Beziehungsbilder auf BookTok“.

 Wir haben mit Sarah Hahndrich gesprochen, um ein breiteres Verständnis für die gegenläufigen Meinungen zum Thema Frauen in BookTok-Romanen zu gewinnen. Sie ist studierte Sozialwissenschaftlerin und beendet aktuell ihren Master in Kulturanalysen. Im Rahmen ihres Studiums ist die Beschäftigung mit gesellschaftlichen Rollenbildern und Stereotypen Alltag. Außerhalb ihrer akademischen Laufbahn ist sie aber vor allem eines: begeisterte BookTok Leserin. 

BookTok hat in den letzten Jahren enorm an Einfluss gewonnen, vor allem über Romance (Romantasy)-Bücher. Warum, glaubst du, ist dieses Genre bei einer so breiten Leserschaft, insbesondere bei jungen Frauen, so populär geworden?

Ich denke, dass Romance-Bücher, allen voran sogar Romantasy-Bücher, mit dem aktuellen Hype eine Zuflucht bieten. Man kommt raus aus dem Alltag und aus der Realität, gerade in Zeiten wie diesen (…). Besonders junge Leserinnen, die im Alltag mit viel Stress konfrontiert werden, finden in diesen Büchern dann einen ganz persönlichen Zufluchtsort. Ja (…) und die Geschichten geben ihnen dabei die Möglichkeit, sich in eine ideale romantische Welt zu versetzen. Dann sind Romance-Bücher auch leicht verständlich, gut konsumierbar, lassen sich leicht herunterlesen. Oft sind sie auch dafür bekannt, so war es zumindest bei allen Büchern, die ich gelesen habe, dass es ein Happy End gibt. Um auf die eben erwähnte unsichere Welt zurückzukommen, vermittelt das natürlich Stabilität und Hoffnung, die im echten Leben fehlt. (…) Um jetzt nochmal einen kleinen Exkurs zu schlagen: die Zugänglichkeit zu den Büchern kommt mittlerweile ja fast ausschließlich durch BookTok-Influencer*innen, die teilweise eine unfassbar hohe Reichweite haben; auch im deutschsprachigen Raum. Die sorgen dann dafür, dass Bücher riesige Aufmerksamkeit bekommen und legen dabei auch „must reads“ fest. Da entsteht dann schon eine Erwartungshaltung. Du weißt als Leserin: wenn ich das nicht gelesen habe, bin ich außen vor, besonders wenn es um bestimmte Tropes geht. (…) Außerdem wird einfach am laufenden Band Neues produziert. Sobald du TikTok oder Amazon öffnest, gibt es Neuerscheinungen, die dann auch wieder Handlungsempfehlungen mitbringt: Wenn du das gelesen hast, musst du als Nächstes das lesen und so weiter.

Wie werden die Hauptdarstellerinnen in den populärsten BookTok-Büchern, am häufigsten dargestellt?

Grafik KI-generiert
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Muster erkenne ich primär in den Romantasy-Büchern. Du hast eigentlich immer Hauptdarstellerinnen, die als unabhängig, authentisch, nahbar und für ihre Werte einstehend dargestellt werden. Allerdings sind sie nie perfekt, was als Leserin ja auch weniger Spaß machen würde. Oft haben sie Schwächen und Verletzlichkeiten, die auf eine traumatische Vergangenheit zurückgeführt werden können. (…) Auch äußerlich sind sie eigentlich nie normschön, wobei einzuwenden ist, dass die Frauen trotzdem nie aus so einem heteronormativen Schönheitsbild rausfallen; also sie sind immer trotzdem noch herausstechend attraktiv für den Mann. (…) Viele Bücher haben ja auch Kapitel mit beiden Perspektiven, wo man dann auch aus der Sicht des Mannes lesen kann, dass sie das schönste Wesen ist, was er je gesehen hat, oder so (lachen). Also vielleicht wichtig anzumerken, dass die Unsicherheiten eigentlich nie von ihm kommen, sondern eher aus ihren eigenen Gedanken. Die Love-Interests sind auch immer ein unabdingbarer Teil, um die Fehlerchen der Protagonistin zu fixen. In „ACOTAR“ oder „Fourth Wing“ zum Beispiel sind die Frauen zunächst zu schwach oder zu klein, um beispielsweise ein Schwert zu halten. Dann braucht es diesen einen Charakter, typischerweise den Mann, der sie unterstützt und ihr dann dazu verhilft, an sich zu glauben. Die Frau wird dabei zwar weiterhin als unabhängig dargestellt, aber trotzdem schwingt eigentlich immer mit, dass der Mann gebraucht wird, um die vollkommene Größe zu erreichen. (…)

Siehst du Tendenzen zu traditionellen Geschlechterrollen, wie das z.B. bei „Trad Content“ auf Tiktok der Fall ist?

Mal wieder denke ich bei der Antwort zuerst an Romantasy-Bücher (Lachen). Hier wird der männliche Part eigentlich immer als Beschützer dargestellt. Er ist ein mächtiger Krieger, ein König, er hat magische Begabungen und er ist derjenige, der die Protagonistin beschützt und unterstützt. Im Gegensatz zum traditionellen Rollenbild sind aber die weiblichen Personen auch in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Sie nehmen die Hilfestellung vom Mann zwar an, schließlich verlieben sie sich ja auch in ihn, aber erwarten trotzdem dauerhaft eine Art Gleichwertigkeit und Respekt. Da wird er dann auch mal herausgefordert. (…) Aber man darf natürlich auch nicht vergessen, dass diese Bücher eigentlich immer in einer patriarchalen Welt spielen. Also egal, wie stark sich die Protagonistin bemüht, gleichwertig zu sein, wenn man herauszoomt, geht das dann im Endeffekt immer nur im Zusammenspiel mit dem männlichen Part. Soll heißen, meist regieren sie dann am Ende gemeinsam das Königreich. (…) Dazu muss man sagen, dass man sich natürlich auch genau das wünscht als Leserin. Das war dann ein slow burn durch die ganze Geschichte und dann fällt es einem vielleicht auch weniger auf, dass seine Beteiligung am Ende auch etwas unfair ist.

 

Zwei häufige Plot-Tools will ich auch noch anbringen. Ein großes Ding in Romantasy sind ja auch die fated mates. Das sind Seelenverwandte, die sich über ihre spezielle Bindung gegenseitig stärken können (…) oder kommunizieren. Meistens ist es dann der Mann, der sich bei der Frau erkundigt, ob bei ihr alles ok ist. Das zweite ist die Benutzung von Games, à la „Die Tribute von Panem“, die meist nur die Frau wirklich durchlaufen muss, um sich in der Welt zu behaupten. Besonders in „The Serpent and the Wings of Night“ war das ganz stark so. (…) Auf den äußeren Rängen sitzen da die Könige und die Männer, die das Ganze dann bewerten.

 

Von der Content-Ecke um den „Tred Trend“ würde ich BookTok per se abgrenzen, weil hier eben doch bewusste Entscheidungen von Frauen und Weiblichkeit als gezielte Machtquelle gezeigt und genutzt werden.

Aus einer feministischen Perspektive gibt es oft Kritik an Büchern, die toxische Beziehungen romantisieren oder Frauen in untergeordnete Rollen drängen. Wie steht diese Kritik für dich im Widerspruch zur Begeisterung, die diese Bücher auslösen?

Grafik KI-generiert
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Ich schlage nochmal einen Bogen zur ersten Frage. Dadurch, dass die Bücher eben eine so gute Fluchtmöglichkeit sind, hat man die Möglichkeit Fantasien auszuleben, ohne irgendwelche Konsequenzen zu befürchten. Irgendwie kann man ja auch sagen, dass hier ein Refugium von Frauen für Frauen entsteht, in dem man sich mit den Männern auf eine Art sicher fühlen kann, wie der Alltag es selten erlaubt. Auch in sehr vulnerablen Positionen. (…) Wäre man in der realen Welt in so toxischen Beziehungen oder immer in der Position, jemanden so sehr zu brauchen, das hat ja schon etwas Krankhaftes. Hier hilft aber auch das oft magische Setting dabei, sich abzugrenzen. Wenn Magie und Zauber existieren, werden die Beziehungen natürlich auch auf einer ganz anderen Ebene wahrgenommen. In Fantasy-Universen wirkt alles kontrollierbarer. Du hast selbst die Macht zu entscheiden: Lese ich jetzt weiter? (…)

Um genauer auf die Frage einzugehen, würde ich gar nicht unbedingt sagen, dass kritischer Umgang mit den Büchern im Widerspruch zu diesen stehen muss. Auf eine gewisse Art würde ich für mich persönlich sagen, kann man das auch reflektiert voneinander trennen. Das eine ist einfach eine Alltagsflucht, die mir Spaß macht, wo ich abschalte, und gleichzeitig kann ich meine gesellschaftskritischen Meinungen behalten. Ich würde nicht sagen, dass ich weniger feministisch bin, nur weil ich BookTok Romance lese. Gleichzeitig sollte es möglich sein, konstruktive Kritik zu üben, an Stellen, wo das nötig ist, und sich einfach bewusst zu sein: Was wird hier unterschwellig reproduziert? (…)

Vielleicht noch kurz dazu: Genres wie Dark Romance oder Bücher mit sehr stark sexualisierten Inhalten würde ich von dieser Argumentation ausschließen. Das ist nochmal eine eigene Diskussion, würde ich sagen, wo sich einfach die Frage stellt: An wen wird hier vermarktet? Ist es vertretbar, was so jungen Leserinnen da als erstrebenswert oder sexy vermittelt wird? (…) Braucht es hier Trigger-Warnungen? Da werden Gedankenräume geöffnet, an denen junge Mädchen und auch Jungen im schlimmsten Fall wirklich Schaden nehmen können.

Siehst du auch positive Entwicklungen in BookTok Romanen, die alternative, feministische Frauenbilder präsentieren? Gibt es Autor*innen oder Bücher, die diesen Wandel vorantreiben?

Ja. (Lachen) Also per se erstmal generell für viele der neuen Bücher auf BookTok: Die Frauen stehen im Vordergrund, und die Frauen haben eigene Ziele und Anliegen. Sie haben eigene Charaktere und ihre eigene Geschichte, die unabhängig von der Lovestory spannend ist. Ein gutes Beispiel dafür ist „The Love Hypothesis“ von Ali Hazelwood. (…) Die Hauptfigur ist hier Wissenschaftlerin, und ihre eigene Karriere steht im Vordergrund der Geschichte. Die akademische Laufbahn und der eigene Aufstieg standen hier für mein Gefühl schon stärker im Vordergrund als nur die Liebesgeschichte, die sich ja auch erst im Laufe der Story langsam entwickelt. (…) Die Autorin baut auch viel Fachwissen ein. Da existiert einfach noch etwas ganz anderes, auf das du dich als Leserin konzentrieren kannst. Zwei weitere gute Beispiele, die ich leider selber noch nicht gelesen habe, aber eben schon sehr viel positive Meinungen von BookTok dazu kenne, sind „Das Lied des Achill“ und „Circe“ von Madeline Miller. Hier sollen verstärkt verschiedene Darstellungen von Weiblichkeit thematisiert werden, und dabei eben auch Stereotype hinterfragt. Und je breiter die Palette an dargestellten Charaktereigenschaften und Personengruppen, desto mehr förderst du ja auch die Akzeptanz verschiedener Lebensentwürfe und Körpertypen (…). Leider würde ich aber doch sagen, dass es wenig ist. Ich nehme es schon so wahr, dass der Trend auf BookTok eher dahin geht, dass sich diese toxischen Beziehungen wirklich gewünscht werden.

Was glaubst du braucht es, damit sich die Darstellung von Frauen und Beziehungsdynamiken optimalerweise weiterentwickeln kann?

Ich finde, dass das Genre generell weiter diversifiziert werden sollte. Sei es jetzt durch kulturelle Vielfalt, LGBTQA+-Repräsentation oder einfach verschiedene körperliche und mentale Realitäten. (…) Ich glaube, dass Diversität dabei helfen kann, viel mehr Menschen die Möglichkeit zu geben, sich mit den Geschichten identifizieren zu können. Du hast dann auch nicht mehr diesen Overload an der einen Grundgeschichte, sondern du hast innerhalb einer Story ganz verschiedene Ecken und Perspektiven. Da ist „Heartstopper“ für mich das beste Beispiel in Sachen Repräsentation. Kann ich auch nur empfehlen. (Lachen) Die Bücher sind relevant, ohne die ganze Zeit auf diese stereotypischen Darstellungen zurückgreifen zu müssen.

Außerdem sollten die Beziehungsmuster, die wir jetzt eben so viel besprochen haben, noch viel mehr kritisch hinterfragt werden. Auch innerhalb der Bubble. Sei es jetzt durch Trigger-Warnungen oder einfach nur durch produktiven Austausch. (…) Ein Beispiel für so eine Aufarbeitung war die Reaktion auf die Verfilmung von It Ends with Us. So etwas könnte dafür sorgen, dass alle Beteiligten in Zukunft sensiblere Wege wählen oder das Zielpublikum einfach anders vorbereitet wird. (…) Eigentlich ist BookTok ein perfekter Weg, da etwas zu verändern, dadurch, dass einfach so viele verschiedene Personen mit am Tisch sitzen dürfen und sich einschalten können.

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