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Herzklopfen und Klischees: Frauen- und Beziehungsbilder auf BookTok

Teil 1 I ein Gastartikel von Paula Süß

Ein Thema, das immer wieder für Auseinandersetzungen sorgt, ist die Darstellung von Frauen und Beziehungsdynamiken in den BookTok Klassikern. Werke von Autor*innen wie Colleen Hoover, die ein Millionenpublikum erreichen und dieses Jahr sogar in Starbesetzung verfilmt wurde, bieten reichlich Stoff für eine kritische Vergegenwärtigung aktueller Repräsentations-Trends. Hoovers Bestseller "It Ends With Us" wird aufgrund seiner Thematisierung von toxischen Beziehungen und häuslicher Gewalt intensiv debattiert. Der Einfluss dieser Darstellungen auf junge Leser*innenschaft, deren Beziehungs- und Frauenideale durch diese Geschichten geformt werden könnten, ist Katalysator für Diskussion um die kulturelle Wirkung von BookTok auf bestehende Frauenbilder. Im Folgenden sollen einige gegensätzlich polarisierende Argumente zu der Frage nach Repräsentation vorgestellt werden, um in einem nachfolgenden Schritt darüber ins Gespräch zu kommen. 

Standpunkte für Negativauswirkungen auf Frauen- und Beziehungsbilder

🙅 Trauma und toxische Beziehungen als Plot-Tool

Viele Bücher, die auf BookTok gefeiert werden, nutzen Themen wie emotionalen oder körperlichen Missbrauch, um Dramatik und Spannung zu erzeugen. Romantische Entwicklungen basieren häufig auf Trauma und „gebrochenen“ Figuren, deren toxische Beziehungen die Spannung aufrechterhalten. Diese Darstellung kann leicht als romantisierend empfunden werden, was besonders für junge Leser*innen problematisch ist, die diese schädlichen Dynamiken möglicherweise als „normal“ oder „leidenschaftlich“ interpretieren.

🙅 Romantisierung von Ko-Abhängigkeiten

Stark kontrollierende Männer werden romantisiert, oft mit dem Argument, dass sie nur „beschützend“ oder „leidenschaftlich“ handeln. Ein solches Verhalten wird verharmlost oder als Zeichen intensiver Liebe dargestellt, was die Grenzen zwischen gesunder Fürsorge und schädlichem Verhalten verwischt.

🙅 Pseudo-starke Frauenfiguren

Besonders in Fantasy-Reihen wie "A Court of Thorns and Roses" (ACOTAR) sind die weiblichen Hauptfiguren zwar oft äußerlich stark und unabhängig – aber im Kern fehlt nicht selten emotionale Tiefe und eine eigenständige Entwicklung. Am Ende geraten sie meist dennoch in Situationen, in denen sie von einem männlichen Love Interest gerettet werden. Dies reproduziert das Stereotyp „Damsel in Distress“ in moderner Verpackung und vermittelt, dass weibliche Stärke immer in Abhängigkeit von einem männlichen Helden existiert.

🙅 Ungekennzeichnete extreme Inhalte

Besonders Bücher aus dem Genre Dark Romance, die explizite Gewalt und Sexualität darstellen, werden oft ohne klare Trigger-Warnungen vermarktet. Das kann problematisch sein, da junge Leser*innen unvorbereitet mit Themen wie Vergewaltigung oder extremer Abhängigkeit konfrontiert werden. Überforderung und (Re-)Traumatisierung können hier die Folge sein.

Standpunkte für positive Auswirkungen und Ablehnung der Kritik

💁 Chance für diverse Schreibende und neue Perspektiven

BookTok bietet eine Plattform für weibliche oder diverse Schreibende, die in den klassischeren Verlagsstrukturen gegebenenfalls weniger Gehör finden würden. Gerade junge Frauen profitieren davon, dass hier Geschichten erzählt werden, die female experience beleuchten und dabei weibliche Perspektiven und Autorinnenschaft in den Vordergrund rücken.

💁 Kritik ist Ausdruck von Vorurteilen

Die häufige Kritik an BookTok-Büchern und deren weiblicher Zielgruppe kann auch als Teil eines gesellschaftlichen Vorurteils gegen die Interessen junger Frauen gesehen werden. Besonders viel Gegenwind kommt von männlichen Stimmen. So wird Literatur, die von Männern geschrieben ist, weniger stark kritisiert – Stephen King wird beispielsweise für seine Horror-Thriller gefeiert, während Romance-Autorinnen als „nicht literarisch genug“ abgewertet werden.

💁 Escapism

Für viele junge Frauen bieten die Bücher eine Fluchtmöglichkeit in eine Welt, die ihre eigenen Erfahrungen, Probleme und Verlangen widerspiegelt. Raum, in dem sich Frauen mit ihren Unsicherheiten und Sehnsüchten wiederfinden können, ohne verurteilt zu werden. Solange Leser*innen in der Lage sind, die Handlungen klar von der Wirklichkeit zu trennen, bergen sie keine Probleme.

💁 BookTok als Einstieg in die Lesewelt

BookTok schafft einen niedrigschwelligen Zugang zur Welt der Literatur und weckt bei vielen jungen Menschen erstmals das Interesse am Lesen. Dabei hilft auch die Atmosphäre des Zusammenhalts in der Online-Community. Selbst wenn die dargestellten Beziehungen und Figuren nicht idealisiert werden sollten, können sie als Einstieg dienen und das kritische Denken anregen.

💁 Bücher als sichere Experimentierzone

In Romanen können Grenzen erforscht werden, die Leser*innen im echten Leben wahrscheinlich niemals überschreiten würden. Die Fiktion bietet eine geschützte Zone, in der reflektiert und sich ausprobiert werden kann, ohne direkt betroffen zu sein. Das macht einen eigenen Wert aus.