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"Hab Geduld mit dir und dem Leben und vertrau deinem eigenen Timing!" - Interview mit Autorin Jennifer Klinge

Autorin Jennifer Klinge (Bildrechte bei Jana Stein, Luftkind Köln)
Autorin Jennifer Klinge (Bildrechte bei Jana Stein, Luftkind Köln)

Liebe Jennifer, wie kam es zu deiner Idee, ein Buch über das Frausein, gesellschaftliche Erwartungen und das eigene Timing ab 30 zu schreiben?

Mit Anfang 30 hatte ich plötzlich das Gefühl, mit allem im Leben “zu langsam” zu sein, oder auf dem “falschen Weg” zu sein. Denn es scheint, als gäbe es einen allgemeingültigen Masterplan für ein gutes Leben für Frauen ab 30. Vor allem Frauen, die ihre eigenen Wege gehen, teils nicht geradlinig, sondern auch die spannenden Nebenwegchen gehen, um sich auszuprobieren, wird häufig das Bild der “Übriggebliebenen” übergestülpt, wenn bis Mitte 30 nicht Mann und Kind am Start sind. Wenn bis 40 nicht die fette Karriere steht, scheint auch irgendwas bescheiden gelaufen zu sein. Die Wucht ist groß, mit der solche Narrative übergestülpt werden. Das kann Angst machen. Und auf Dauer die mentale Gesundheit angreifen, wenn wir die Erzählungen über vermeintliches Versagen ab einem bestimmten Alter als Wahrheiten in uns verankern. Wenn wir uns unermüdlich vergleichen, wer jetzt wo steht im Leben. Immer wieder habe ich den Kontakt zu mir verloren, weil ich mich durch den Filter gesellschaftlicher Erwartungen sowie tradierter Geschlechterrollen sah und das hat mein Ich für mich vollkommen verschwommen werden

lassen. Und das ist richtig krasser Bullshit, denn es gibt ja gar keine Blaupause für ein glückliches Leben. Wir müssen uns nur eben aus dieser Vorstellung befreien und die Angst vor Alternativen verlieren. Ich wollte meinem Bedürfnis nach mehr Vorbildern nachgehen und anderen Frauen Mut machen und zeigen, wie viele Wege es noch gibt.

Außerdem wollte ich von meinem eigenen Weg erzählen, um zu zeigen: Es geht nicht immer nur geradeaus und das ist gut so. Die Idee zum Buch war, Menschen zu ermutigen, dem eigenen Timing im Leben zu vertrauen. “Trust the timing of your life” hat in den letzten Jahren in meinem Leben so an Wichtigkeit gewonnen. Bei sich zu bleiben und sich keine Zeitfenster vordiktieren zu lassen, ist kolossal wichtig, um nicht in die Mühle aus Druck und Vergleich zu geraten, die auf Dauer krank macht.

 

Was möchtest du mit deinem Buch den Lesenden mitgeben? Was ist deine „Mission” mit dem Buch?

Ich möchte dazu beitragen, gegen schädliche Narrative anzugehen und sich gegen blöde Zeitfenster aufzulehnen. Weil Vorbilder immer helfen. Weil so viele Singlefrauen noch immer Angst haben, als traurig wahrgenommen zu werden, weil so viele Frauen Angst davor haben, als unattraktiv wahrgenommen zu werden, wenn die 40er nahen. Angst davor, nicht erfolgreich genug gewesen zu sein und jetzt Chancen verpasst zu haben. So ein schlimmer Bullshit, der noch immer durch viele Köpfe wabert.

Stattdessen bin ich für: Es ist dein Leben, also mach bitte, was immer du wann machen möchtest. Es gibt selten ein zu spät. Es ist Zeit, die engen gesellschaftlichen Zeitfenster zu zertrümmern und der eigenen Stimme zu vertrauen. Die 30er, 40er, 50er etc. sind für so Vieles da, wir müssen nicht alles bis Mitte/Ende 30 verballert haben. Dieses Hetzen und die privaten wie beruflichen Checklisten machen einfach nur Druck und der kann krank machen.

Mein Ziel ist es, ein Leben zu führen, in dem man wirklich auf sein Herz hört, in dem man sich von gesellschaftlichen Normen und alten Rollenbildern nicht unter Druck setzen lässt. Manchmal muss man aber erst auf die Schnauze fallen, sich verlieren, so richtig zersplittern, psychische Krisen aushalten, um in den Dialog mit den eigenen Wünschen, der eigenen Intuition zu kommen. Denn es geht doch darum: Sich selbst mal zu hinterfragen, was man mit seinem Leben anstellen möchte – und auch wann man dies tun möchte und nicht einfach Pfade nachzulatschen, weil alle es so machen ab einem bestimmten Alter.

 

Was war deine Kindheitsvorstellung von (deinem) Erwachsensein?

Ich hatte gar keine klare Vorstellung, wer ich beruflich sein könnte oder wie ich leben werde. Oder ich erinnere mich nicht daran. Was ich aber ganz klar im Kopf hatte: Mann und Kinder waren selbstverständlich.

 

Wenn du könntest, was würdest du deinem 30-jährigen Ich sagen?

Hab Geduld mit dir und dem Leben und vertrau deinem eigenen Timing! Und hör auf, dich zu vergleichen! Aber geil, dass du so

gerne feierst, lass dir nicht einreden, das sei nicht altersgemäß. Lass aber vielleicht mal das Rauchen sein! PS: 30 ist übrigens sau jung.

 

Gibt es Frauen, die dich inspirieren?

Unfassbar viele. Vor allem Frauen, bei denen im Leben vieles anders kommt als gedacht, die aber ihre Zufriedenheit damit finden. Frauen, die sich auflehnen, die sich gegenseitig unterstützen. Frauen, die für sich die Entscheidung getroffen haben, ein kinderfreies Leben führen zu wollen. Frauen, die sich neu erfinden, die sich von Alterszahlen nicht einschüchtern lassen und ihr Ding machen – egal, mit wie vielen vermeintlichen Umwegen. Und so könnte ich immer weitermachen.

 

Wie sieht deine perfekte Schreibroutine aus? Und wie hast du deinen Schreibprozess gestaltet?

Das war in der Tat eine viel größere Herausforderung als ich dachte, was mich als Texterin auch echt irritiert hat. Aber ein Buch zu schreiben ist eben ein Marathon, kein Sprint. Ich muss sagen, bei mir war das sehr intuitiv, ich hatte mir so oft vorgenommen: “So jetzt aber, heute ziehst du voll durch!” Und im Endeffekt kam gar nichts. Das war oft echt frustrierend, dann gab es aber Momente, da war ich plötzlich so inspiriert und im Flow, dass ich in kurzer Zeit viel geschrieben bekam. ich habe schließlich versucht, meine kreativen Highs besser zu lesen und mit ihnen zu gehen – was natürlich nicht immer möglich war. Aber oft beobachtete ich auch den Klassiker: Im Auto, bei anderen Tätigkeiten, in Gesprächen kamen plötzlich Einfälle – die habe ich dann oft per Sprachnachricht an mich selbst geschickt oder notiert und später dann im Text verarbeitet. Unterm Strich war es eher: Mühsam ernährte sich das Eichhörnchen. Aber es hat sich gelohnt, weil es ebenso eine richtige tolle Erfahrung war, sich selbst in einem Buchschreibeprozess mal neu kennenzulernen. Und jetzt weiß ich immerhin, was ich beim nächsten Buch anders machen

würde. ;)

 

Gab es ein Kapitel, was dir besonders leicht gefallen ist zu schreiben?

Das komplette Oberkapitel vom Auflösen und Zusammensetzen fiel mir recht leicht, weil es einen schönen Teil meiner Geschichte erzählt und ich den Flow, der auch in dieser Zeit da durch mein Leben fegte, ebenso plötzlich beim Schreiben spürte. Weil es so schön voller Zuversicht ist.

 

… Und ein Kapitel, das dich mehr herausgefordert hat als alle anderen?

Das Kapitel “Die Geschichte über den Kinderwunsch”, weil es in meiner Unentschiedenheit natürlich auch immer wieder den Finger in die Wunde gelegt hat – und ich viel lesen und recherchieren musste, was mir nicht immer gut getan hat. Deep Dive in Ängste inklusive.

 

Worauf dürfen wir uns in den nächsten sechs Monaten mit dir freuen, welche Projekte hast du in Planung?

Ich freue mich mega auf all das Tolle, was jetzt mit der Buchveröffentlichung losgeht – beispielsweise einige Lesungen, Podcast-Einladungen und eins meiner Highlights: die Lesung auf der Leipziger Buchmesse. Außerdem stehen bei mir im Frühling alle Zeichen auf frischen Wind, somit geht jetzt auch bald meine neue Website an den Start, auf der ich endlich mal richtig zeigen kann, was ich so treibe: als Autorin, Texterin und Digitalstrategin. Ich bin gerade richtig happy darüber, zu sehen, dass das, was lange Zeit in meinem Kopf ungeordnet und verknotet war, endlich klar wird: Dass ich verschieden Dinge machen kann, die irgendwie zusammenlaufen und eine Übermessage haben: Ich erzähle und entwickle Geschichten oder helfe anderen, sie zu erzählen.

 

Herzlichen Dank, liebe Jennifer!

 

Mehr über Jennifer Klinge Arbeit findest du hier und auf ihrem Instagram-Profil.

Und hier geht es zu Jennifers Buch AUCH GUT!: