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"Für mich bedeutet Fotografie Erinnern. Und Kunst. Die Kunst der Beobachtung. Zeitzeugin sein. Politisch sein." - Interview mit der Fotografin Natalie Stanczak

Natalie Stanczak (Bildrechte: Sandsack Fotografie)
Natalie Stanczak (Bildrechte: Sandsack Fotografie)

Liebe Natalie, du hast neben dem Text auch alle Bilder für unser Buch "Bis eine* weint!" beigesteuert - wie kam es dazu?

Natalie: Nico und mir war von Anfang klar, dass ich die Bilder für unser Buch mache. Es war zum einen pragmatisch gedacht, da wir keinen Stress mit Nutzungsrechten anderer Fotografi*innen haben wollten und zum anderen auch meiner Art der Fotografie Raum zu geben. Wir haben uns für Facesofmoms* einen individuellen Look und Design überlegt und hierbei spielt meine Fotografie eine große Rolle. Für mich ist Facesofmoms* nun das, was ich immer wollte. Die Verbindung zwischen meiner Fotografie und meiner Arbeit als Soziologin.

Ich habe nun auch die Möglichkeit im Rahmen des Augsburger Friedensfestes über unsere Buchporträts hinaus meine dokumentarischen Familienfotografien auszustellen. Denn gehören auch zu uns. Unser primäres Ziel ist es durch das Medium der Fotografie eine ehrlichere Mutter*schaft zu zeigen, und so den Mythos der perfekten, heiligen Mutter* zu hinterfragen und zu dekonstruieren, der auch durch Bilder aufrechterhalten wird. Mütter und Kinder auch weinend zu zeigen, nicht perfekt gestyled, müde und erschöpft. Diese Art der Familienfotografie ist für mich auch politisch.

Polaroids, Autorin und Einblick ins Buch zu "Bis eine* weint!" (Bildrechte: Sandsack Fotografie)

Was bedeutet Fotografie für dich?

Fotografieren ist mein Versuch, Erlebtes vor dem Vergessen zu bewahren und vor allem den alltäglichen Momenten, dem Hier und Jetzt, Dauer zu verleihen.

Mit der dokumentarischen Fotografie kann aus einer Szene auf einem Bild eine Gesamterinnerung werden. Aus einer Erinnerung an das eigene Zimmer kann eine Erinnerung an ein Ritual aus der Kindheit werden. Die Erinnerung hat im ersten Moment vielleicht nichts mit dem Bild an sich zu tun, das Foto ist hier der Auslöser für den Erinnerungsprozess. Deshalb ist es mir auch so wichtig dokumentarisch zu fotografieren. Manche Erinnerungen bekommen auch erst im Nachhinein eine besondere Bedeutung. So geht es mir zum Beispiel mit meinen Schwangerschafts- und Wochenbettbildern. Ich habe nur ganz wenige Bilder aus dieser Zeit und fühle erst jetzt ihre Bedeutung. Ich kann durch sie Verarbeiten und Gewisses nachfühlen und auch irgendwie Frieden mit mir schließen. Das ist sehr schön.

Für mich bedeutet Fotografie Erinnern. Okay! Und Kunst. Die Kunst der Beobachtung. Zeitzeugin sein. Politisch sein.

 

Wie bist du zur Fotografie gekommen?

Eigentlich ist es eine Familientradition. Mein Ur-Opa und mein Opa sowie mein Onkel haben fotografiert und ich habe mit 12 meine erste Kamera von meinem Onkel geschenkt bekommen. Eine alte Zenitkamera. Ich besuchte einen VHS-Kurs und lernte das analoge Fotografieren von Roland. Roland war irgendwie wie mein Opa. So schloss sich der Kreis ;) Auch meine Mama ist eine sehr kreative Person und für mich gehörten Kunst, Zeichnen und Malen zum Aufwachsen dazu.

 

Was macht deine Bilder so besonders?

Besonders finde ich vor allem, dass ich die Schönheit im Alltäglichen sehe. In der dokumentarischen Fotografie leite ich niemanden an und inszeniere keine Situationen. Das Shooting steht nicht im Mittelpunkt, sondern das Leben, die Verbindung und die Gefühle der Personen. Für mich kommt immer Emotion vor Technik, was nicht heißen soll, dass ich die Technik nicht beherrsche, jedoch mache ich auch absichtlich Fehler. Auch ein noch so verwackeltes Bild kann eine Bedeutung haben. Meine Bilder sind grobkörnig, moody und eher melancholisch. Sie entsprechen vielleicht im ersten Moment nicht dem gängigen Schönheitsideal, aber das mag ich.

 

Was war dein bisher schönstes Erlebnis als Fotografin?

Ich bin überglücklich, dass mir immer mehr Menschen ihr Vertrauen schenken und an meine Kunst glauben. Mich machen lassen und das gut finden, was ich tue. Meine Intention und meine Werte verstehen. Erst am Samstag sagte eine Mama zu mir, „…und genau deshalb habe ich dich gebucht. Weil du diesen Mehrwert schaffst, aus Soziologie und Fotografie.“ Da habe ich echt Gänsehaut bekommen. Ich umgebe mich gern mit Menschen.

 

Teilst du eines deiner Lieblingsbilder mit uns? Warum ist es dir so lieb?

Mein absolutes Lieblingsbild ist aktuell das hier von Mabelle und ihren Kindern im Hausgang. Die Farben, die Komposition. Ich liebs einfach! Das ist etwas, was die zwei Kids immer machen, bevor sie das Haus verlassen. Es ist eine echte Situation, die ich für immer festgehalten habe. Auch ich habe mich sehr angenommen und verstanden gefühlt, mit dem Papa philosophiert, wir haben sogar zusammen gegessen. Als hätte ich alte Freunde besucht. Das liebe ich an diesem Shoot besonders.

 

(Bildrechte: Sandsack Fotografie)
(Bildrechte: Sandsack Fotografie)

Was ist deine Vision für dich als Fotografin für die kommenden drei Jahre?

Meine persönliche Vision ist, dass ich es schaffe meine zwei Disziplinen beruflich noch enger zu koppeln. Dass mich Magazine und Familien für meinen dokumentarischen Stil deutschlandweit buchen und Kunst angemessen bezahlt wird. Ich möchte mich noch mehr mit meinen Werten auseinandersetzen und die Heterogenität von Familien und Lebensmodellen zeigen.

Übergeordnet würde ich gern eine Ausstellung in meiner Heimatstadt Augsburg organisieren, die die dokumentarische Familienfotografie in die Öffentlichkeit bringt. Dokumentarische Familienfotografie hilft andere Familienrealitäten fernab des kleinbürgerlichen Familienideals zu zeigen. Jetzt hab ich die Romantik versaut ;)

 

Welche drei anderen Fotografinnen* möchtest du unseren Leser*innen noch empfehlen?

Das ist echt gemein, haha ... nur drei ;) Ich habe jetzt 4 und könnte noch sooo viel mehr …

@palyfulmodernkids: Shay ist eine krass tolle Fotografin und Kreative. Mit ihrem Mann hebt sie Brandfotografie auf ein neues Level. Absoluter Crush des Jahrhunderts und Kreativvorbild!

@marcia_friese_worte_und_bilder: Marcia ist da, wo ich hin will. Sie sieht ihren Beruf als Fotografin auch als Teil eines „politischen Engagements“ und schafft mit ihrer Fotografien neue Realitäten von Geburten und weiblichen Rollenbildern.

@moonandcheeze begeistert mich vor allem durch ihre Selbstporträts. Krass kreativ und absolut genial.

Und @maleyphoto. Durch ihn habe ich meinen Stil gefunden.

Außerdem noch @lisa.sorgini und @claireguarry.

 

Herzlichen Dank!

 

Mehr zu Natalie und ihrer Arbeit findest du auf www.sandsackfotografie.de oder auf Instagram unter @sandsack.fotografie.